Unerhört: Der Heilige Geist* – eine Frau*?

Darstellungen des Heiligen Geistes* kenne ich viele: Zu allererst fallen mir da natürlich viele ein, in denen die Taube als Symbol für den Heiligen Geist* genutzt wird, da er* bei der Taufe Jesu in Form einer Taube auf ihn* herabschwebt (Mt 3,16). Oder die Bilder, die zeigen, wie der Heilige Geist* an Pfingsten in Form von Feuerzungen auf die Jünger*innen herabkommt (Apg 2,3). Außerdem noch die Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow, der Vater*, Sohn* und Heiligen Geist* als drei Engel darstellt [1], die an einem Tisch sitzen.

Bei meinen Recherchen für diesen Beitrag bin ich dann aber auf eine Darstellung des Heiligen Geistes* gestoßen, die ich vorher noch nicht kannte und die mich fasziniert hat: In Urschalling, einem Dof in der Nähe des Chiemsees, gibt es in der Kirche St. Jakobus eine ungewöhnliche Darstellung von Vater*, Sohn* und Heiligem Geist*. Sie stammt aus dem 14. Jahrhundert, wurde aber übermalt und erst im Zuge von Renovierungsarbeiten im Jahr 1923 wiederentdeckt. Als Titelbild dieses Beitrags zu sehen, zeigt sie drei Köpfe und Oberkörper, die dann zu einer einzigen Figur verschmelzen – Zeichen für die Einheit des dreifaltigen Gottes. Offensichtlich zu erkennen ist auf der rechten Seite Gott-Vater*, der* – wohl der Vorstellung vieler Kinder und auch Erwachsener entsprechend – mit weißem Haar und Rauschebart abgebildet ist. Auch die Darstellung des Sohnes* (auf der linken Seite) ist mit dem dunklen, längeren Haar und Bart recht klassisch. Bleibt also in der Mitte noch der Heilige Geist*. Aber Moment mal! Auf den ersten Blick ist man wohl etwas irritiert, denn in dieser Darstellung ist der Heilige Geist* wohl eher eine Heilige Geistin*. Durch das Erscheinungsbild – u. a. die langen Haare und das freundliche, runde, bartlose Gesicht – wird sie* tendenziell als Mädchen* oder Frau* interpretiert.

Was zunächst etwas verwunderlich erscheint, ist gar nicht so überraschend, wenn man in den hebräischen Urtext der Bibel schaut. „Ruach“, das hebräische Wort für Geist* ist nämlich grammatikalisch gesehen ein Femininum, also „die Ruach“, die Geistin*. Und auch die Wirkungsfelder der Ruach entstammen eher dem Erfahrungsbereich von Frauen*: Sie* ist schon bei der Schöpfung aktiv, wo sie* über dem Wasser schwebt (Gen 1,2) und wird als Kraft, die Leben schafft, gesehen (Ps 104,30). Maria empfängt durch das Wirken der Ruach Jesus (Lk 1,35). Dieser* erklärt Nikodemus, dass, wer nicht aus Wasser und Geist* geboren wird, nicht ins Himmelreich gelangen kann (Joh 3,5). Nach Jesu Tod ist die Ruach Beistand (Joh 14,16-17) und auch Motivation (Apg 2,1-13) der Jünger*innen. Nicht zuletzt feiern wir mit Pfingsten, dem Fest der Ruach (oder der Heiligen Geistin*), den Geburtstag der Kirche. Gebären, empfangen, trösten, motivieren – Eigenschaften, die bislang eher Frauen* zugeschrieben werden.

Das Bild von Urschalling ist zugleich verblüffend wie auch faszinierend. Und es regt zum Nachdenken an: Dass ein Maler* (oder vielleicht auch eine Malerin*) im 14. Jahrhundert, einer Zeit, in der die Rolle der Frau* klar festgesetzt war (und das nicht im positiven Sinn), in der von Emanzipation, Feminismus oder Frauen*quote noch nicht die Rede war, den Heiligen Geist* als Frau* darstellt, ist ein starkes Zeichen gegen die männliche* Dominanz, die sich auch in den Darstellungen und im Sprechen von Gott* zeigt. „If God is male, then male is God.” (“Wenn Gott* männlich* ist, dann ist das Männliche* Gott*.”) – dieses Zitat von Mary Daly, einer feministischen Theologin*, zeigt nur ein Problem des rein männlichen* Gottes*bildes, das letztlich zu einer Überhöhung und „Vergöttlichung“ des Männlichen* geführt hat, welche sich immer noch in so vielen Bereichen unserer Welt, Gesellschaft und Kirche widerspiegelt.  

„Gott ist nicht nur Vater, vielmehr ist er auch Mutter.“  Dieses Zitat einer Angelus-Ansprache von Johannes Paul I. im Jahr 1978 zeigt, dass das Bild des Vaters* nicht das einzige Bild ist, das es für Gott* gibt. Auch das Bild von Urschalling rückt die weibliche* Seite Gottes buchstäblich ins Zentrum. Beide sind ein Appell, Gott-Vater*, Sohn* und Heilige Geistin* – nicht auf ein Geschlecht, nämlich das männliche*, einzugrenzen. Sie fordern uns auf, mutig unser eigenes Bild für das Göttliche zu finden – so wie es der*die Maler*in des Bildes von Urschalling getan hat – und uns dabei nicht von bestehenden Vorstellungen einengen zu lassen. Dieser Mut kann sich auch in unserer Sprache zeigen: z. B. im Sprechen von der „Heiligen Geistin*“ oder von „Gott-Mutter“. Oder darin, in einer Gruppenstunde oder einem anderen Rahmen aufzuzeigen, dass es (auch schon in der Bibel) mehr Gottes*bilder gibt als das des alten Mannes* mit weißem Haar und langem Rauschebart [2] und dass Gott* letztlich auch nicht auf Geschlechter eingrenzbar ist, nicht Frau* ist und nicht Mann*, sondern Gott* – da er*sie sowieso viel größer ist als all unsere Vorstellungsmöglichkeiten.

Anna Lena


[1] Wer sich dafür interessiert, findet z. B. hier ein Bild und erste Informationen: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienA/Andrei_Rubljow.html

[2]  Auf der Verbandskonferenz 2019 wurde ein Studienteil durchgeführt, der sich u. a. mit den Gottes*bildern der Bibel, die über männlich* konnotierte Vorstellungen hinausgehen, beschäftigt. Bei Interesse ist dieser durch eine Mail an mail@j-gcl.org erhältlich.