Kill them with kindness!

Niemand kann sich gegen Ehrlichkeit, Großzügigkeit und Herzlichkeit wehren

Liebe Senta! Erzähl uns doch bitte, was deine Zeit im FATAL dir damals bedeutet hat und was davon heute noch weiter wirkt.
Damals, als ich im FATAL war (2010/11) habe ich hauptsächlich den geschützten Raum mit unseren Themen und die Gesellschaft der anderen Frauen* und Mädchen* genossen. Jetzt im Alter von 28 Jahren merke ich erst, welch ein Privileg dieser Zugang zu solchen sicheren Orten ist.

Was meinst du mit „geschützter/sicherer Raum“? Und mit welchen Themen habt ihr euch damals beschäftigt?
Wir haben damals gemeinsam die Mädchen-Mails zu „Frauen in Europa und weltweit“ geschrieben und für die JK einen FATAL-Raum vorbereitet. Das zum Beispiel war ein physischer „geschützter“ Ort, aber auch nur eine Facette des gefühlten, umfangreichen „Raums“. Besonders während der turbulenten Zeiten der Pubertät. Zu lernen, dass viele Mädchen* und Frauen* ähnliche Erfahrungen in der Gesellschaft machen, Körper haben, Bedenken oder Ängste haben… und dabei doch alle ganz unterschiedlich sind. Und ich in diesem Raum einen Platz habe.

Was hast du aus deiner FATAL-Zeit sonst noch mitgenommen?
Die Zeit im FATAL hat mir ein unbewusstes Selbstvertrauen mit auf den Weg gegeben, auf das ich später immer weiter aufbauen konnte. Heute beschäftigen mich genderspezifische Themen mehr denn je und ich merke, dass es in der Gesellschaft noch unglaublich viel Bedarf gibt, weiter daran zu arbeiten.

Wie ging dein Lebensweg nach der Schule weiter?
Nach meinem Abi hab ich eine Zeit im Ausland verbracht, Architektur studiert. Besonders meine Erasmus-Zeit in Athen und die tollen Frauen, die ich dort getroffen habe, haben meine Auseinandersetzung mit mir als Frau weiter geprägt.

Das klingt spannend. Erzähl uns doch mehr von deinem Studium. Wie kamst du darauf, Architektur zu studieren? Wie hat dir das dann gefallen? Wie siehst du die Rolle der Frauen* in der Architektur?
Ursprünglich war das wohl eine Faszination für „Häuser“ im Allgemeinen. Aber natürlich ist Architektur viel mehr als das! Und genau das ist auch der Grund, warum ich mich immer wieder dafür begeistern kann.
Allerdings will ich nicht leugnen, dass es lange gedauert hat, mich einzufinden, erst im Studium und dann auch in der Arbeitswelt.
Der weiße, männliche* Architekt* im schwarzen Rollkragen-Pullover. He’s real.
Erfolgreiche Architektinnen* und Professorinnen* sind vergleichsweise selten. Doch das (Selbst-)Bewusstsein wird stärker. Das ist schön und ermutigend.

Du hast tolle Frauen* in Athen erwähnt. Kannst du uns mit konkreten Beispielen erläutern, wie sie* deine Entwicklung als Frau* geprägt haben?
Indem sie* sich getraut haben, sich nicht dafür zu interessieren, was andere womöglich jetzt von ihnen denken. Das ist gar nicht so einfach und selbstverständlich (wie wir wahrscheinlich alle wissen). Dabei fallen mir z. B. „offensive Situationen“ des Für-sich-Einstehens ein. Zum Beispiel mit M. Wenn ein Mann* zu lange geguckt hat, hat sie* einfach laut gesagt „Hör auf mich anzugucken. Das ist mir unangenehm!“. Dass sie* einfach gemacht hat, was sie* für richtig hielt, vor allem ihr* selbstbestimmter Umgang mit Lust und Sexualität hat mich bei L. erst überfordert und dann beeindruckt. Sie* hat mir die unterschiedliche Bewertung von sexuell aktiven Männern* und Frauen* in Medien und Gesellschaft bewusst gemacht: Der Mann* ist „der charmante Casanova“, die Frau* „das Flittchen“. Durch L. habe ich gelernt, diese Konzepte zu hinterfragen, über Sex zu reden und vor allem: nicht so schnell über andere Frauen* zu urteilen. Wir haben darüber geredet, wie es ist, als Frau* belästigt und auf Äußerlichkeiten reduziert zu werden, die Pille und deren Auswirkungen auf Körper und Psyche, weibliche* Stereotype in Gesellschaft und Beziehungen.

Was ist ganz aktuell das, was dich v. a. beschäftigt, also deine „Haupttätigkeit“?
Jetzt steht meine Masterarbeit an. Gerade komme ich aus Nepal und einem ehrenamtlichen Architekturprojekt zurück. Interessant war es als (westliche!) Frau* in einer so anderen Kultur zu leben.

Was für ein ehrenamtliches Projekt ist oder war das?
Zusammen mit meinen Teamkolleginnen von supertecture (guckt mal! supertecture.com) aus Deutschland und Nepal bauen wir in einem Bergdorf eine Community-Lodge mit architektonischem Anspruch. Das wird ein kleines Hotel mit Blick auf‘s Himalaya-Gebirge, dessen Einnahmen der gesamten Dorfgemeinschaft gehören. Diese entscheidet dann, welche Projekte sie damit finanzieren möchte und wird so unabhängig von internationalen Hilfen. Einerseits möchten wir so einen Motor in Gang setzen, aber natürlich haben wir als Architektinnen auch das Ziel, den Mehrwert von nachhaltiger, interessanter Architektur sichtbar zu machen.

Du hast in Nepal als westliche Frau* in einer anderen Kultur gelebt. Welche Erkenntnisse hat dir diese Erfahrung gebracht?
Die nepalesische Kultur habe ich als sehr respektvoll und ehrlich wahrgenommen. Natürlich kann ich davon nur in meiner Sonderrolle als privilegierte Ausländerin* berichten. Und ich glaube, genau das hat mir etwas Seltsames vor Augen geführt. Dass es für mich verblüffend war, dass dort niemand meine Kompetenzen angezweifelt hat. Ich habe auch in Deutschland schon an vielen Projekten mitgebaut – manche sogar geleitet -und bin nie das Gefühl losgeworden, dass automatisch erstmal davon ausgegangen wird, dass ich als Frau* weniger Ahnung von handwerklichen Dingen habe. Vielleicht können wir uns ja alle ein wenig unvoreingenommener begegnen? Das gilt sicherlich für alle Vorstellungen, die man sich von anderen Menschen (oder Geschlechtern) so macht.

Du hast über unseren Blog die Gelegenheit, sowohl junge J-GCLerinnen* als auch andere Mädchen* und junge Frauen* zu erreichen. Welchen Rat hast du aus deiner Lebenserfahrung heraus für uns bzw. für sie?

Ich hoffe, mein Rat klingt nicht zu kampfeslustig… (obwohl es doch so einiges gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt) Um die ganze Sache ein bisschen nachhaltiger zu gestalten, wähle ich einen Satz, den ich von einer Freundin* gelernt habe: Kill them with kindness! Niemand kann sich gegen Ehrlichkeit, Großzügigkeit und Herzlichkeit wehren.

Herzlichen Dank, liebe Senta, dass du deine Erfahrungen mit uns geteilt hast! Dürfen sich diejenigen, die mehr von dir wissen wollen, bei dir mailden?
Natürlich gerne. Über senta@j-gcl.org.

Senta, Mitglied im FATAL 2010 und 2011